Bürgerinfo - Stadt Schmalkalden

Auszug - Aktuelle Stunde Fragen und Antworten: Energiekrise in Deutschland - Auswirkungen auf die Stadt Schmalkalden  

 
 
29. Sitzung des Stadtrates der Stadt Schmalkalden
TOP: Ö 2
Gremium: Stadtrat
Datum: Mo, 26.09.2022 Status: öffentlich/nichtöffentlich
Zeit: 18:02 - 21:20
Raum: Bürgerhaus "Werra-Aue"
Ort:

 

Frau Schellenberg übergibt das Wort an den Bürgermeister.

 

Herr Kaminski erläutert, dass sich aufgrund der außergewöhnlichen Situation „Energiekrise“ fraktionsübergreifend für das Format der „Aktuellen Stunde“ entschieden wurde. Seitens des Wirtschaftsförderungsausschusses sowie des Ältestenrates wurde überlegt, wie mit den steigenden Energiepreisen und dem Thema Versorgungssicherheit umgegangen und wie mit der Bevölkerung kommuniziert werden soll. Daher findet heute erstmals eine „Aktuelle Stunde“ im Stadtrat Schmalkalden statt.

 

Es gab bereits zwei Presseveröffentlichungen (offener Brief und Interview), um Fragen der Bevölkerung aufzugreifen und, soweit möglich, zu beantworten.

 

Herr Danz betritt um 18:09 Uhr den Sitzungssaal. Somit sind nun 16 stimmberechtigte Stadträte anwesend.

 

Aufgrund der europäischen und globalen Marktschwankungen war absehbar, dass letztendlich auch die Stadt Schmalkalden den starken Preisschwankungen ausgesetzt ist. Im Jahr 2019 wurde über das TGF eine Studie erarbeitet, ob mit den vorhandenen Ressourcen (Sonne, Biomasse, Wind) eine eigene Energieversorgung umsetzbar ist. Betrachtet wurden die Strom- und die Wärmeerzeugung, das Thema Mobilität nicht. Ergebnis war, dass die Strom- und Wärmeerzeugung zur Versorgung des Stadtgebietes inklusive Ortsteilen zu 100 % gewährleistet werden könnte.

 

Die geringsten Eingriffe (lediglich optischer Art) bietet die Nutzung von Photovoltaik. Zur Stromerzeugung mit Photovoltaikanlagen würden etwa 30 % der Dachflächen bzw. befestigten Flächen im Stadtgebiet benötigt.

Die Stromerzeugung durch Windenergie wurde vorerst zurückgestellt. Die Verwendung von Biomasse wurde ebenfalls geprüft. Im März 2020 hatte sich die Stadt entschieden, in die Eigenenergieerzeugung einzusteigen und diese voranzutreiben. Seitdem sind mehrere Maßnahmen über die Stadt Schmalkalden initiiert worden. Gesamtstädtisch betrachtet ist jedoch nicht nur die Stadtverwaltung, sondern jeder Bürger und jedes Unternehmen gefragt, solche Maßnahmen umzusetzen. Auf einigen städtischen Gebäuden wurden Photovoltaikanlagen installiert, gefördert vom Freistaat mit 9.000 € pro Objekt. Auf weiteren städtischen Gebäuden ist die Installation vorgesehen. Eine größere Anlage ist als Freiflächenanlage nahe dem Wohngebiet Walperloh angedacht, die Netzverträglichkeitsprüfung läuft derzeit.

 

Beim großen Heizhaus ist beabsichtigt, perspektivisch so wenig Erdgas wie möglich zu nutzen. Ein Teil (Grundlast der Wärmeerzeugung) wurde umgestellt auf die Erzeugung über Biogas. Der übrige Teil (Spitzenlast) wird aktuell über Erdgas ausgeglichen. Die Förderung der Umstellung der Heizanlage wurde in 2019 beantragt, um die Grundlast in Zukunft über eine strombasierte Wärmepumpe zu erzeugen und die Spitzenlast über Biogasverwertung auszugleichen. Überschüssige Stromenergie kann wiederum zur Wärmeerzeugung (Warmwasser) verwendet werden. Die Baumaßnahme zur Umstellung hat begonnen, dauert aber noch bis ca. Jahresende 2023 an.

 

Maßnahmen zur Energieeinsparung werden ebenso berücksichtigt, beispielsweise durch die Umrüstung der (Straßen-)Beleuchtung auf LED.

 

Einerseits ist durch den Ausfall von 50 % des Gasbezugs aus Russland der Energieträger Gas verknappt, sodass seitens der Bundesregierung die ersatzweise Beschaffung zu lösen ist. Andererseits geht es um die Einsparung von Energie und das Füllen der Speicher. Die aktuelle Energiekrise ist das Ergebnis eines bewusst herbeigeführten Marktversagens, was am Preis deutlich abzulesen ist. Pro Megawattstunde Gas wurden am Spotmarkt sonst durchschnittlich 20 € gezahlt – aktuell sind es zeitweise 300 €. Heute sind die Preise mit ca. 120 € zwar gesunken, gegenüber den ursprünglichen Preisen sind diese dennoch hoch.

Die Preissteigerungen führen dazu, dass die Preise auch bei den Endkunden stark nach oben gehen. Viel dramatischer wirkt sich das im auf Gas angewiesenen industriellen Bereich aus, z.B. in der Glasindustrie, da das Gas am Spotmarkt zum Tagespreis erworben wird. Außerdem wirkt es sich ebenso auf den Strompreis aus, wenn Gas für die Stromerzeugung verwendet wird. Für einige Unternehmen ist das wirtschaftlich kaum darstellbar, da die Preise nicht so schnell an die Kunden weitergegeben werden können. Die Frage der Versorgungssicherheit stellt sich somit nicht nur im Bereich der Energie, sondern auch in bestimmten energieabhängigen Produktionsbereichen wie der Lebensmittelindustrie (z.B. Bäckereien).

 

Herrn Kaminski ist es wichtig, das Signal zu geben, dass die Energiekrise in Schmalkalden fraktionsübergreifend ernst genommen wird und es darum geht, gemeinsam eine vernünftige Lösung zu finden.

 

Die Bundespolitik muss Alternativen zur bisherigen Gasbeschaffung suchen, damit wieder mehr Gas zur Verfügung steht und der Marktpreis sinkt. Dies hilft den am Spotmarkt Einkaufenden. Eine Preissteigerung bei den privaten Endverbrauchern lässt sich damit aber nicht verhindern, lediglich deckeln, da die künftigen Preise die jetzigen Preissteigerungen schon beinhalten. Daher hält der Bürgermeister, mit Blick auf private Haushalte und die klein- und mittelständische Industrie, einen Gaspreisdeckel der Bundesregierung für richtig (ebenso den Strompreisdeckel). Die Festlegungen dazu sollten zeitnah erfolgen, um Verunsicherung und Angst zu nehmen, damit man sich wieder anderen Themen widmen kann.

 

Die Wirtschaftslage wirkt sich auch auf die Stadt und den städtischen Haushalt aus. Daher hat die Stadt ein großes Interesse daran, dass die Industrie, aber auch der soziale Bereich (Pflegeeinrichtungen, Krankenhäuser und dergleichen), gut funktionieren.

 

Der Bürgermeister hat den Eindruck, dass die örtlichen Energieversorger zwar ebenfalls die Preise anheben – aber nicht ganz so stark wie umliegende Energieversorger. Er wünscht sich, dass jeder seinen Beitrag leistet, um das Winterhalbjahr gemeinsam zu überstehen. In diesem Zusammenhang muss eventuell auch über genossenschaftlich organisierte Modelle nachgedacht werden, um Kräfte zu bündeln und die Energieversorgungssicherheit zu gewährleisten. Ab dem Frühjahr ist der Energieumbau der Eigenenergieerzeugung voranzutreiben, damit die aktuellen Abhängigkeiten künftig nicht mehr bestehen.

 

Herr Kaminski möchte nun die Gelegenheit für Fragen und Anregungen geben.

 

Nach Meinung von Herrn Wolfgang Schneider entwickelt sich die gesamte Situation zu einem gesellschaftspolitischen sozialen Problem. Er möchte wissen, wie die Stadt damit umgehen wird, wenn die Bürger ihre Energie-rechnungen nicht bezahlen können. Herr Schneider stellt fest, dass die aktuelle Wirtschafts- und Sozialpolitik nicht im Sinne der Bevölkerung sein kann. Die Bevölkerung sollte sich das nicht gefallen lassen, daher fragt er – insbesondere in Richtung der Fraktion Die Linke – wann etwas dagegen unternommen wird (Demonstrationen, Kundgebungen, Proteste). Herr Kaiser entgegnet, dass die Partei Die Linke durchaus agiert (z.B. Demonstrationen in Leipzig). Er muss sich jedoch überlegen, was er als Stadtrat der Stadt Schmalkalden konkret tun kann. Demonstrationen in Schmalkalden sind zum Abwenden der Energiekrise nicht zielführend. Stattdessen soll ein Krisenstab im Rahmen seiner Möglichkeiten und Zuständigkeiten Maßnahmen zur sozialen Abfederung der Energiekrise in Schmalkalden beraten. Zudem muss sich über Energieeinsparmaßnahmen sowie die regionale Energieversorgung verständigt werden. Die aktuelle Wirtschaftspolitik hat die Bundesregierung zu verantworten. Trotzdem möchte sich die Stadt im Rahmen ihrer begrenzten Möglichkeiten Maßnahmen überlegen, um ihre Bürger zu unterstützen. Es soll niemand seine Wohnung verlieren, weil die Energiekosten nicht mehr gezahlt werden können.

 

Der Bürgermeister bestätigt, dass Demonstrationen in Berlin stattfinden müssten, nicht in Schmalkalden. Sollte dies organisiert werden, möchte er ebenfalls teilnehmen.

Sollten Schmalkalder ihre Energierechnungen nicht mehr bezahlen können, liegt das Problem zunächst bei deren Energieversorgern, nicht bei der Stadt. Dennoch ist die Stadt betroffen: über die SWS, die an der Fernwärme beteiligt ist, und über die WoBau, die Fernwärmeabnehmer ist und diese gegenüber ihren Mietern abrechnet. Sollten viele Privatkunden zeitgleich nicht zahlen können, ergeben sich Probleme hinsichtlich der Solvenz der SWS. Dennoch soll die WoBau bei Zahlungsverzug nicht so schnell reagieren, wie das in normalen Zeiten der Fall ist. Die Kostenübernahme oder ein Zuschuss durch die Stadt ist jedoch nicht möglich. Hier muss die Bundespolitik Abhilfe schaffen – möglichst schnell, da die Heizperiode beginnt.

 

Die Energiekrise ist kein Marktversagen, sondern Politikversagen, so Herr Kaiser.

 

Herr Rüdiger Löhl meldet sich zu Wort. Er war bis zu seinem Renteneintritt in 2021 langjährig als Geschäftsführer der Eproplast GmbH tätig und hat auch mit der TGF zusammengearbeitet. Bezüglich der vom Bürgermeister angesprochenen Studie des TGF erläutert Herr Löhl, dass Eigenenergieerzeugung mit Photovoltaik nur funktioniert, wenn die erzeugte Energie in großen Mengen speicherbar ist. Dies sei technisch aktuell noch nicht möglich.

 

Herr Lorenz betritt um 18:46 Uhr den Sitzungsraum, sodass nun 17 von 25 Stadträten anwesend sind.

 

Weiter führt Herr Löhl aus, dass die aktuelle Situation nicht nur für private Endverbraucher problematisch ist, sondern auch die industriellen Unternehmen gefährdet – was sich in der Folge wiederum auf die Endverbraucher auswirkt.

Am Beispiel eines mittelständigen Unternehmens schildert er, dass die Versiebenfachung des Strompreises zu Mehrkosten für Strom von 400.000 € führt. Die Fa. Eproplast muss durch die hohen Strompreise sogar eine jährliche Mehrbelastung von 2,5 bis 3 Mio. € verkraften. Vorübergehend kann das aufgefangen werden, jedoch nicht zeitlich unbegrenzt.

 

Herr Danz hat den Eindruck, dass die Bundesregierung reagieren und in den nächsten 2 bis 4 Wochen den Preisdeckel bzw. entsprechende Maßnahmen auf den Weg bringen wird. Hinsichtlich der Industrie würde das ansonsten die De-Industrialisierung Deutschlands bedeuten. Das sei nicht gewollt, sodass alles versucht wird, das Beste für Deutschland zu erreichen – in der Hoffnung, dass dies auch gelingt.

 

Herr Kürschner benennt die Strompreise aus Frankreich, der USA und China – die gegenüber Deutschland deutlich niedriger ausfallen.

 

Der Bürgermeister vermutet, dass der Strompreisdeckel für Private und Firmen, die den Strom nicht am Spotmarkt beziehen, kommen wird. Seines Erachtens braucht es sowohl den Preisdeckel als auch die Wiederherstellung des Marktes. Die Reaktion der Bundesregierung hätte laut Herrn Kaminski längst erfolgen müssen. Zudem sei das Vertragssystem sehr kompliziert (z.B. Ölpreisbindung bei Fernwärme mit Gas).

 

Herr Abicht merkt an, dass die wirtschaftspolitischen Entscheidungen eines Landes für die Energiesicherheit ursächlich sind. Die aktuelle Regierung versagt diesbezüglich, sodass sich Deutschland nicht in einer Konjunkturdelle, sondern in einer Notstandssituation befindet. Der Mittelstand wird „mit Anlauf geschrottet“. Auch die Stadtwerke, die solange wie möglich Energie liefern werden, könnten aufgrund von Mehrkosten und Forderungsausfällen von Insolvenz bedroht sein.

 

Die Einrichtung eines Krisenstabes für Schmalkalden erachtet Herr Abicht vor diesem Hintergrund für notwendig, um die Energieversorgung der Bürger sicherzustellen. Es müssen zeitnah Lösungen gefunden werden, um den Bürgern zu helfen. Herr Abicht schlägt vor, das Schadholz aus dem Stadtwald energetisch zu nutzen. Außerdem könnte die Baugestaltungssatzung dahingehend angepasst werden, Photovoltaikanlagen auch im Innenstadtbereich zuzulassen. Vorhandene Schornsteine könnten wieder aktiviert werden.

Bezüglich der Holznutzung aus dem Stadtwald legt Herr Kaminski dar, dass das „gute“ Holz aus wirtschaftlichen Gründen vor Ort zum Bauen verwendet werden sollte. Für das Restholz ist eine energetische Verwendung denkbar. Es besteht für die Bürger außerdem die Möglichkeit, sich mit einem Leseschein (erhältlich bei der Stadtverwaltung, SG Liegenschaften und Forsten) kostenfrei Restholz aus dem Stadtwald zu holen.

Der Bürgermeister nimmt erfreut zur Kenntnis, dass Herr Abicht das Thema Photovoltaikanlagen mittlerweile sehr unterstützt. Die Installation weiterer Photovoltaikanlagen ist kurzfristig (in den nächsten 2-3 Monaten) jedoch leider nicht möglich.

Hinsichtlich der Versorgungssicherheit liegt die größte Herausforderung bei der Fernwärme, so Herr Kaminski. Herr Killenberg von den Dezentralen Energien Schmalkalden (DES) prüft daher mögliche Alternativen, um eventuelle Erdgas-Lieferengpässe zu kompensieren. Bezüglich der Preisentwicklung sind die Rahmenbedingungen (Maßnahmen der Bundesregierung) zunächst abzuwarten, um die Auswirkungen auf die Zahlungsfähigkeit der Bürger abschätzen zu können. Gegebenenfalls wird erneut eine „Aktuelle Stunde“ anberaumt, um zu informieren und ins Gespräch zu kommen.

 

Herr Amborn zitiert einen Artikel von MDR Wissen aus dem Internet zum Thema „erneuerbare Energien“. Außerdem gibt er einen Podcast von Harald Lesch wieder: eine schwedische Gemeinde setzt seit 1999 auf regenerative Energien und wurde damit reich.

Herr Amborn stimmt seinen Vorrednern zu, dass für Schmalkalden jetzt eine schnelle Lösung gebraucht wird. Gleichzeitig sollten aber zukunftsfähige Strategien zur regionalen Energieversorgung erarbeitet und umgesetzt werden. Seiner Meinung nach bestand bislang das Problem in zu hohen bürokratischen und baulichen Hürden, um auf erneuerbare Energien umzustellen. Hier sollten seitens der Politik schnell umsetzbare einfache Lösungen erarbeitet werden.

 

Herr Gellert fasst zusammen, dass die gegenwärtig hohen Energiekosten bei der Bevölkerung schlichtweg Angst auslösen. Seiner Ansicht nach ist die Bundesregierung von der aktuellen Situation überfordert. Die Bevölkerung muss daher jetzt einen gewissen Druck ausüben, damit die Bundesregierung endlich Lösungen präsentiert.

Das in Schmalkalden bereits begonnene Unabhängigmachen vom Energiegträger Erdgas ist richtig. Beim Aufbau  regenerativer Energiesysteme muss zunächst Geld investiert werden. Die entsprechenden Voraussetzungen sind zu schaffen. Der Landkreis erarbeitet bereits Energiesparkonzepte. Dies wird auf die Stadt Schmalkalden ebenso zukommen, um dem gegenwärtigen Kostendruck zu begegnen und sinnvoll Energie einzusparen. Ein „Sparen um jeden Preis“ ist aber nicht das Ziel.